Medieninformation Donnerstag, 23.01.2025, 14:36 Abwasserbasiertes Drogenmonitoring 2024 Innovative Abwasseranalyse ermöglicht umfassende Einblicke in den Suchtmittelkonsum Vorarlbergs
Das abwasserbasierte Drogenmonitoring hat sich als eine innovative Methode etabliert, um den Konsum legaler und illegaler Suchtmittel in der Bevölkerung zu analysieren. Bereits 2020 wurde ein ähnliches abwasserbasiertes Drogenmonitoring in Vorarlberg durchgeführt, sodass nun ein Vergleich der Konsumtrends zwischen damals und heute möglich ist. „Die valide Messung des Drogenkonsums ist essenziell, um fundierte Maßnahmen zur Konsumdynamik in der Bevölkerung zu entwickeln und umzusetzen“, betont Landesrätin Martina Rüscher bei der Vorstellung des Abwasserbasierten Drogenmonitoring Berichts 2024 gemeinsam mit der Vorständin der Abteilung Soziales und Integration Alexandra Kargl, Univ.-Prof. Herbert Oberacher von der Medizinische Universität Innsbruck und Primar Philipp Kloimstein von der Stiftung Maria Ebene. Neben dem Konsum verbotener Drogen, Alkohol und Nikotin wurden im Jahr 2024 erstmals auch der Konsum von pharmazeutischen Wirkstoffen wie Antidepressiva (Venlafaxin, Citalopram), Antiepileptika (Gabapentin, Pregabalin) und Schlafmittel (Zolpidem) untersucht. Dies erlaubt eine Analyse der Verwendung psychophoaktiver Substanzen durch die Vorarlberger Bevölkerung.
Die aktuelle Untersuchung des Amtes der Vorarlberger Landesregierung entstand in Kooperation mit der Medizinischen Universität Innsbruck und dem Institut für Umwelt und Lebensmittelsicherheit. Durch die Untersuchung konnte ein detailliertes Bild des Substanzkonsums in Vorarlberg erstellt werden. „Die Ergebnisse bilden eine wertvolle Grundlage für die Gesundheits- und Sozialpolitik, um gezielte Maßnahmen zu entwickeln und Trends frühzeitig zu erkennen“, sagt Landesrätin Rüscher.
Untersucht wurden Wasserproben aus den 17 größten Kläranlagen Vorarlbergs, an die 78 Gemeinden mit rund 400.000 Einwohnerinnen und Einwohnern angeschlossen sind – etwa 97 Prozent der Bevölkerung. Die Proben wurden an sieben aufeinanderfolgenden Tagen Anfang Juli 2024 entnommen. „Dank der Kooperation mit den Kläranlagen, die uns die Proben bereitstellen, können wir nun nicht nur den Konsum illegaler Drogen, sondern auch den von pharmazeutischen Wirkstoffen wie Antidepressiva und Schlafmitteln analysieren“, lobt Univ.-Prof. Herbert Oberacher die gute Zusammenarbeit mit den Kläranlagen.
Für die Beurteilung und Darstellung eines guten und fundierten Überblicks der Drogenkonsumsituation im Land Vorarlberg sind neben den im Drogenbericht Österreich dargestellten Schlüsselindikatoren für Vorarlberg auch regionale „Realttime Daten“ wie das abwasserbasierte Drogenmonitoring wesentlich. „Für die Planung und Steuerung von Präventions- Beratungs- und Therapieangeboten in allen Handlungsfeldern von der Wiege bis zum hohen Alter ist eine fundierte Datengrundlage ein wesentliches Fundament“, erklärt Abteilungsvorständin Alexandra Kargl. Die Daten zeigen uns, dass Vorarlberg schon sehr früh und sehr hoch von Drogenkonsum betroffen war. Aber sie zeigen uns auch die Erfolge, durch die in letzten Jahrzenten intensiv aufgabebauten Behandlungs- und Präventionsangebote. Beispielsweise sind die HIV Infektionen bei intravenös drogenkonusmierenden Menschen zurückgegangen, die soziale Integration und Gesundheitsversorgung von suchtkranken Menschen hat sich deutlich verbessert.
Aus dem vorliegenden Bericht zeigt sich nun aber, dass ein verstärktes Augenmerk auf mögliche Ursachen für den massiven Anstieg des Kokain- und regional eingegrenzten Methamphetaminkonsums gelegt werden muss. Die bisherigen Angebote müssen im Hinblick auf die Datenlage analysiert und evaluiert werden. Dies wird im Rahmen der Überarbeitung der Psychiatrie- und Suchstrategie, welche bis im Herbst abgeschlossen sein wird, erfolgen.
Die Studie hatte vier Hauptziele:
- Den Umfang des Konsums der einzelnen Wirkstoffe in Vorarlberg zu ermitteln.
- Einen überregionalen Vergleich anzustellen.
- Regionale Unterschiede innerhalb Vorarlbergs aufgrund von Urbanisierung und Tourismus zu untersuchen.
- Zeitliche Veränderungen im Vergleich zum Jahr 2020 festzustellen.
Wesentliche Erkenntnisse
Die wichtigsten Ergebnisse und Schlussfolgerungen der Studie können wie folgt zusammengefasst werden:
Häufig konsumierte Substanzen
Von den 23 untersuchten Substanzen waren Nikotin, Alkohol, Paracetamol, THC (Cannabis), Venlafaxin und Kokain die am häufigsten konsumierten. Diese Substanzen wiesen Pro-Kopf-Konsummengen von mehr als 10 Dosen pro Tag pro 1.000 Personen auf.
Nikotin und Alkohol dominieren das Konsumverhalten, während Cannabis als die am häufigsten genutzte illegale Droge hervorsticht.
Innerhalb der Gruppe der untersuchten pharmazeutischen Wirkstoffe weisen das Schmerzmittel Paracetamol sowie die Psychopharmaka Venlafaxin, Citalopram und Oxazepam die höchsten Umsätze auf, was auf den breiten Einsatz in der pharmakologischen Behandlung bei Schmerzen und psychischen Erkrankungen hinweist.
Alkoholkonsum
Der durchschnittliche Konsum von Alkohol entsprach 0,7 Standardgläsern pro Tag pro Person. Im Schnitt wurden 7,5 Tonnen an reinem Ethanol pro Tag in Vorarlberg konsumiert.
• Ein Standardglas enthält etwa 20 Gramm reines Ethanol, was beispielsweise einer Flasche Bier oder zwei Gläsern Wein entspricht.
• Alkohol ist jene psychoaktive Substanz, von der die größte Menge pro Tag umgesetzt wurde. Dies spiegelt die hohe gesellschaftliche Akzeptanz von Alkohol wieder.
Nikotinkonsum
Der tägliche Nikotinkonsum entsprach dem Gehalt von drei Zigaretten pro Person.
• Unter der Annahme, dass eine rauchende Person durchschnittlich 15 Zigaretten pro Tag konsumiert, bedeutet das, dass rund 20 Prozent der Vorarlberger Bevölkerung Raucherinnen oder Raucher wären. Jährlich würden somit rund 590 Millionen Zigaretten konsumiert werden. Bei einem durchschnittlichen Preis von 0,3 Euro pro Zigarette ergäbe das einen Umsatz von rund 180 Millionen Euro.
• Diese Werte bestätigen die weit verbreitete Nutzung von Tabakprodukten.
Cannabis und Kokain
Cannabis: Mit 65 Dosen pro 1.000 Personen pro Tag ist THC die am häufigsten konsumierte verbotene Substanz.
• Hochgerechnet entspricht dies einer jährlichen Menge von 10 bis 20 Tonnen Cannabiskraut.
• Mit einem geschätzten Preis von 10 Euro pro Gramm beläuft sich der Schwarzmarktwert allein für diese Substanz auf 100 bis 200 Millionen Euro.
Kokain: Mit 16 Dosen pro 1.000 Personen pro Tag folgt Kokain als zweitbeliebteste illegale Droge.
• Dies entspricht einer geschätzten jährlichen Konsummenge von 309 Kilogramm reiner Substanz.
• Bei einem durchschnittlichen Preis von 90 Euro pro Gramm erreicht der jährliche Umsatz mindestens 28 Millionen Euro.
Der Konsum dieser Substanzen unterstreicht die Präsenz eines bedeutenden Schwarzmarkts in der Region.
Pharmazeutische Substanzen
Unter den analysierten Arzneimitteln wurden die höchsten Umsätze bei Paracetamol, Venlafaxin und Oxazepam festgestellt.
Paracetamol: Etwa jede zehnte Person konsumierte dieses Schmerzmittel, das vor allem bei alltäglichen Beschwerden wie Kopfschmerzen oder Gelenkschmerzen eingesetzt wird.
Antidepressiva (z. B. Venlafaxin): Rund drei Prozent der Vorarlberger Bevölkerung nehmen Venlafaxin oder Citalopram zur Behandlung von Depressionen ein. Gemessen an der Rate der ärztlich diagnostizierten Depressionen deutet dies auf eine gute Abdeckung der pharmakologischen Behandlung hin.
Schlafmittel (z. B. Zolpidem): Etwa 1,5 Prozent der Bevölkerung nutzten die Schlafmittel Oxazepam und Zolpidem zur kurzzeitigen Behandlung von Schlafstörungen.
Regionale Unterschiede
Der Konsum von Kokain und Amphetamin war in einigen Vorarlberger Regionen über dem österreichischen Durchschnitt, während MDMA unter dem Durchschnitt lag. In (semi-)urbanen Gebieten war der Konsum illegaler Substanzen und pharmazeutischer Wirkstoffe höher als in ländlichen Regionen. Tourismus scheint den Konsum bestimmter Substanzen wie Methamphetamin und Ketamin zu beeinflussen, insbesondere in ländlichen Gebieten mit touristischer Infrastruktur.
Zeitliche Trends
Im Vergleich zur Studie von 2020 wurden signifikante Veränderungen festgestellt:
• Kokain: Der Konsum stieg um 70 Prozent, was eine besorgniserregende Entwicklung darstellt.
• Methamphetamin: Ein Zuwachs von 114 Prozent deutet auf eine regionale begrenzte Ausweitung des Konsums hin. Tendenziell wurde mehr Methamphetamin in den urbaneren als in den ländlicheren Regionen Vorarlbergs konsumiert, im ländlichen Raum scheint der Faktor Tourismus einen Anstieg des Methamphetaminkonsums zu bedingen.
• MDMA: Der Konsum fiel um 27 Prozent, was auf eine Verlagerung des Drogenkonsums hinweisen könnte.
• THC: Der Konsum von psychoaktivem Cannabis reduzierte sich um 20 Prozent, was auf eine veränderte Konsumkultur hinweist.
Diese Entwicklungen zeigen sowohl neue Herausforderungen als auch potenzielle Erfolge in der Drogenprävention auf. „Die Abwasseruntersuchung unterstreicht die Notwendigkeit unserer etablierten Beratungs- und Behandlungseinrichtungen in Vorarlberg. Denn Vorarlberg ist nicht nur ein Genussland, sondern weiterhin (auch) ein Konsumland“, betont Philipp Kloimstein. Die Ergebnisse für Alkohol, Nikotin und die illegalen Substanzen – insbesondere die Zunahme von Kokain – überraschen aus Expertensicht nicht, sondern decken sich mit dem klinisch-therapeutischem Alltag. Gesellschaftlich zeuge das Konsumverhalten aber von unterschiedlichen Problemfeldern und unterstreiche ein breites Konsumverhalten quer durch alle Gesellschaftsschichten. „Hier gilt es genau hinzuschauen und auch weitere Angebote zu etablieren, denn schlussendlich geht es immer um einzelne Menschen mit ihren jeweiligen Lebensgeschichten. Und es geht natürlich auch um ein soziales Umfeld mit insbesondere Angehörigen. Hier bringen Abhängigkeitserkrankungen doch immer noch beachtliches Leid und Belastungen mit sich – das gilt es fachlich-therapeutisch zu lindern“, führt der Primar der Stiftung Maria Ebene aus.
Analytik
Die abwasserbasierte Analyse ermöglicht eine objektive Erhebung des Konsums psychoaktiver Substanzen durch die quantitative Bestimmung von Konsummarkern, also Substanzen oder deren Abbauprodukte, im Abwasser. Die Vorarlberger Studie umfasste mehrere Schritte, um präzise Daten zu erheben:
Probenahme:
In den 17 größten Kläranlagen Vorarlbergs wurden an sieben aufeinanderfolgenden Tagen 24-Stunden-Mischproben des Abwassers entnommen. Diese Proben decken das Einzugsgebiet von 399.000 Menschen, einschließlich rund 28.000 Urlaubsgästen pro Tag, ab. Neben städtischen Gebieten wurden auch ländliche Regionen berücksichtigt, um regionale Unterschiede zu erfassen.
Quantitative Analyse:
Die Proben wurden an der Medizinischen Universität Innsbruck mittels validierter analytischer Methoden (Flüssigkeitschromatographie gekoppelt mit der Massenspektrometrie) untersucht, mit denen geringste Spuren der Konsummarker zuverlässig nachgewiesen werden können. Es wurden 23 Konsummarker quantifiziert, darunter Ethylsulfat (Alkohol), Cotinin (Nikotin), THC- Carbonsäure (THC), Benzoylecgonin (Kokain), mehrere pharmazeutische Wirkstoffe wie Paracetamol und Venlafaxin sowie weitere illegale Drogen wie Methamphetamin und MDMA.
Datenaufbereitung und Berechnung:
Die gemessenen Konzentrationen wurden mit Daten zur Abwassermenge und spezifischen pharmakokinetischen Parametern (z. B. Ausscheidungsraten der Substanzen) kombiniert, um die täglich konsumierten Wirkstoffmengen zu berechnen.
Ergebnisse wurden als Prokopf-Konsummengen angegeben, beispielsweise in Dosen pro 1.000 Personen pro Tag.
Vergleich und Validierung:
Die Daten wurden mit Ergebnissen der Studie von 2020 sowie mit den europaweiten SCORE-Daten verglichen, um zeitliche Trends und regionale Unterschiede zu analysieren.
Zusätzliche Qualitätssicherungsmaßnahmen garantierten die Zuverlässigkeit der Ergebnisse.
Hilfestellungen / Anlaufstellen in Vorarlberg
Professionelle Gesundheitsförderungs- und Suchtpräventionsangebote werden seit vielen Jahren durch die aus Fördermitteln des Sozialfonds finanzierte SUPRO – Stiftung Maria Ebene – angeboten. Für unterschiedliche Zielgruppen und Settings bietet die SUPRO maßgeschneiderte Formate, Workshops und Beratungen an, um bei Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen (z.B. in Kindergärten, Schulen, Vereinen, Gemeinden und Betrieben) gesundheitsförderliche Verhältnisse und Verhaltensweisen zu fördern, Lösungen für psychische Belastungen zu finden und einen reflektierten Umgang mit psychoaktiven Substanzen oder problematischen Verhaltensweisen zu vermitteln.
Kontakt:
SUPRO - Gesundheitsförderung und Prävention
Am Garnmarkt 1
6840 Götzis
05523 / 549 41
info@supro.at
Das Präventionsangebot im Drogenbereich wird ergänzt durch die etablierte Eventbegleitung von „taktisch klug“, welche auf größeren Partys und Festivals zu gesundem feiern und schadensminimierendem Drogenkonsum berät. Seit 2023 gibt es in Vorarlberg ein kostenloses und anonymes Drug Checking Angebot. Drug Checking ermöglicht die laboranalytische Testung von Substanzproben mit dem Ziel potentiellen Schaden und Risiken des Drogenkonsums zu reduzieren. Das Projekt bietet eine wertvolle Möglichkeit, den Konsum von Substanzen sicherer zu gestalten, die gesundheitlichen Risiken für Betroffene zu minimieren und ein Bewusstsein dafür zu schaffen, was in den Drogen zusätzlich noch für Streckstoffe enthalten sein können. Durch das Angebot von professionellen Analysen und Beratungen wurde eine vertrauensvolle Anlaufstelle errichtet, die sowohl Aufklärung als auch Schutz gewährleistet.
Kontakt: https://www.koje.at/taktischklug
Beratung und Behandlung bei Suchtmittel und Drogenkonsum bieten die ambulanten Drogenberatungsstellen „Clean“ der Stiftung Maria Ebene in Bregenz, Feldkirch und Bludenz. In Dornbirn steht die Drogenberatungsstelle „Die Fähre“ für KonsumentInnen und Angehörige zur Verfügung.
Kontakt: https://clean.mariaebene.at/
Menschen mit problematischem Alkoholkonsum oder Angehörige können sich an die Suchtfachstellen der Caritas Vorarlberg wenden.
Kontakt: https://www.caritas-vorarlberg.at/hilfe-angebote/sucht/suchtfachstellen/suchtberatung- Redaktion
- Katharina Heindl