Medieninformation Dienstag, 09.12.2025, 11:00 Land Vorarlberg beschließt Psychiatrie- und Suchtstrategie 2025–2035 Umfassender strategischer Rahmen für moderne psychosoziale Versorgung und Suchthilfe

Mit der neuen Vorarlberger Psychiatrie- und Suchtstrategie 2025–2035 legt das Land einen zukunftsweisenden Rahmen für die Weiterentwicklung der psychiatrischen Versorgung und Suchthilfe vor. Die Strategie wurde in den vergangenen zwei Jahren in einem breit angelegten Beteiligungsprozess erarbeitet. Sie verbindet wissenschaftliche Erkenntnisse mit praktischer Systemerfahrung sowie den Perspektiven von Betroffenen und Angehörigen. Ziel ist eine moderne, verlässliche und bedarfsgerechte Versorgungsstruktur, die präventiv wirkt und im Krisenfall rasch und koordiniert unterstützt.

Landesrätin Martina Rüscher betont die Bedeutung der neuen Strategie: „Das ist ein Meilenstein für die psychosoziale Versorgung psychisch erkrankter und suchtkranker Menschen in Vorarlberg. Wir schaffen klare Behandlungspfade, stärken die Zusammenarbeit über alle Ebenen hinweg und investieren in Strukturen, die Menschen langfristig unterstützen. Unser Anspruch ist eine Versorgung, die menschlich, verlässlich und wirksam ist.“

Literaturanalyse, Evaluation und Beteiligungsprozess als Grundlage

Wesentliche Grundlagen bildeten eine umfassende Literaturanalyse, Evaluationen des bisherigen Psychiatriekonzepts sowie die Beratung durch den renommierten Gemeindepsychiater Raoul Borbé aus Ravensburg. Die Strategie wurde zudem eng mit nationalen und internationalen Positionen sowie mit der Strategie des Sozialfonds 2030 abgestimmt.

Der Strategieprozess startete im Sommer 2024 aufbauend auf dem Psychiatriekonzept 2015–2025. Mehr als 100 Expertinnen und Experten aus Sozialpsychiatrie, Suchthilfe und zahlreichen angrenzenden Bereichen – von Wirtschaft, Medizin und Pädagogik über Bildung, Pflege und Sozialarbeit bis hin zur Kinder- und Jugendhilfe – brachten sich gemeinsam mit Betroffenen und Angehörigen in Workshops, Befragungen und Zukunftswerkstätten aktiv ein.

Der Prozess orientierte sich an einem trialogischen Ansatz, der die Perspektiven von Fachpersonen, Angehörigen und Betroffenen systematisch einbezieht. Darüber hinaus wurden Vertreterinnen und Vertreter der ÖGK, des Gemeindeverbandes Vorarlberg sowie aller im Landtag vertretenen Parteien aktiv in die Strategieentwicklung eingebunden. Die identifizierten Herausforderungen und Lösungsansätze wurden sorgfältig bewertet und zu einem kohärenten Gesamtmodell zusammengeführt.

Zentrale Herausforderungen der kommenden Jahre

Die Analyse der Ausgangslage macht deutlich, dass die psychiatrische Versorgung und Suchthilfe vor wachsenden Anforderungen stehen. Dazu zählen insbesondere

  • die Zunahme psychischer Erkrankungen, insbesondere bei jungen Menschen und älteren Personen;
  • komplexe Mehrfachdiagnosen, die eine koordinierte Versorgung erforderlich machen;
  • ein anhaltender Fachkräfte- und Personalmangel;
  • die steigende Bedeutung von Migration, digitalem Medienverhalten und gesellschaftlichen Krisen;
  • die Notwendigkeit, Nahtstellen zwischen stationären und ambulanten Angeboten zu verbessern;
  • eine erhebliche Stigmatisierung, die den Zugang zu Unterstützungsangeboten erschwert.

Aus diesen Entwicklungen ergibt sich ein klarer Handlungsbedarf, den die neue Strategie umfassend adressiert.

Strategischer Rahmen: Basisinnovationen und Entwicklungsfelder

Die Vorarlberger Psychiatrie- und Suchtstrategie 2025–2035 gliedert sich im Ergebnis in zwei übergeordnete Basisinnovationen und sieben strategische Entwicklungsfelder mit insgesamt 42 konkreten Maßnahmen.

Basisinnovation 1: Entwicklung gemeinsamer Qualitätsstandards

Ein zentrales Anliegen der Strategie ist die Einführung einheitlicher Qualitätsstandards in der psychiatrischen Versorgung und Suchthilfe. Diese sollen Transparenz schaffen, Verantwortlichkeiten klar definieren und sicherstellen, dass Betroffene in allen Regionen des Landes auf Leistungen in verlässlicher Qualität zugreifen können.

Zur Ausarbeitung dieser Standards wird eine trialogisch besetzte Arbeitsgruppe eingerichtet. Die Entwicklung berücksichtigt sowohl unterschiedliche kulturelle Hintergründe als auch die Bedeutung von Empowerment und Selbstbestimmung. Sie umfasst alle Ebenen der Struktur-, Prozess- und Ergebnisqualität.

Basisinnovation 2: Stärkung der zentralen Fallsteuerung

Um Menschen mit komplexen Problemlagen bedarfsgerecht zu unterstützen, wird eine zentrale Fallsteuerung etabliert. Sie dient der systematischen Koordination von Dienstleistungen, erleichtert Übergänge zwischen Angeboten und gewährleistet eine kontinuierliche Begleitung. Dadurch sollen Drehtüreffekte, fehlende Anschlusslösungen und unklare Zuständigkeiten deutlich reduziert werden.

Die Fallsteuerung orientiert sich an personenzentrierten Prinzipien und stärkt die Rolle der Primärbetreuung. Die Weiterentwicklung der Hilfeplanung trägt zusätzlich dazu bei, bürokratische Abläufe zu vereinfachen und fachliche Ressourcen effizienter einzusetzen.

Die sieben strategischen Entwicklungsfelder im Überblick

1. Integrierte Versorgungsstrukturen

Ein Schwerpunkt liegt auf der Verbesserung der Schnittstellen zwischen stationären und ambulanten Angeboten. Dazu zählen der Ausbau von aufsuchenden Akutbehandlungsangeboten, die Weiterentwicklung der Sozialpsychiatrischen Dienste sowie die Entwicklung und Umsetzung eines multiprofessionelle Betreuungsangebotes für schwer erkrankte Personen anhand international erfolgreicher Modelle. Ergänzend wird eine landesweit zugängliche Krisenhotline eingerichtet.

2. Prävention und Öffentlichkeitsarbeit

Prävention soll künftig systematischer und sektorübergreifend koordiniert erfolgen. Im Mittelpunkt stehen Entstigmatisierung und die Stärkung der Präventionsangebote für spezifische Risikogruppen und bereits Erkrankte, um ungünstigen Erkrankungsverläufen entgegen zu wirken. Gezielte Maßnahmen werden in den Bereichen Suizidprävention, Suchtprävention, digitaler Medienkonsum bei Kindern und Jugendlichen sowie mentale Gesundheit älterer Menschen gesetzt.

3. Recovery und Empowerment

Die Selbsthilfe von Betroffenen und Angehörigen wird sowohl in der Beteiligung als auch in der therapeutischen Arbeit gestärkt. Im Fokus stehen der Aufbau verbindlicher Betroffenen- und Angehörigenvertretungen nach trialogischem Prinzip, die Umsetzung des Unterstützungskonzepts durch Psychiatrieerfahrene (Peer-Support-Konzept) sowie eine stärkere Einbindung von Angehörigen in die Betreuung.

4. Kinder- und Jugendpsychiatrie

Angesichts steigender Belastungen junger Menschen setzt die Strategie auf angepasste Strukturen: niederschwellige Clearingstellen, vertiefende Diagnostik, eine weiterentwickelte Fallsteuerung sowie eine verbesserte Transitionspsychiatrie, die den Übergang in die Erwachsenenpsychiatrie begleitet. Ergänzend werden aufsuchende Akutbehandlungen in den eigenen vier Wänden (Home-Treatment), Eltern-Empowerment und integrierte sozialpsychiatrische Wohnangebote ausgebaut.

5. Sucht

Die künftige Suchthilfe folgt einem integrierten, lebensweltorientierten und suchterkrankungsübergreifenden Ansatz. Vorrangig ist der Ausbau wohnortnaher und niederschwelliger Angebote für mehrfacherkrankte Menschen und schwer erreichbare Zielgruppen. Ambulante und tagesklinische Leistungen ergänzen die stationären Entzugs- und Entwöhnungsangebote im Krankenhaus. Zusätzlich werden die Rahmenbedingungen für intravenöse Opioid-Substitution und schadensminimierende Maßnahmen in der niederschwelligen Drogenhilfe geprüft. Der Spitalsverbindungsdienst wird weiterentwickelt und die Suchtkompetenz in der Pflegeversorgung wird gezielt gestärkt.

6. Arbeitsrehabilitation und inklusiver Arbeitsmarkt

Vorarlberg setzt auf eine nachhaltige Inklusion am Arbeitsmarkt – unterstützt durch langfristige Begleitung und enge Kooperationen mit Unternehmen. Innovative Modelle in Zusammenhang mit der heilenden Kraft der Natur und Naturbildung („Green Care“-Initiativen) werden weiter ausgebaut.

7. Wohn- und Pflegeversorgung

Die Wohnversorgung psychisch schwer erkrankter Personen und von Menschen mit Suchterkrankung und Pflegebedarf wird durch die Weiterentwicklung bestehender ambulanter und stationärer Angebote und neuer Versorgungsformen verbessert. Ziel ist ein vielfältiges, bedarfsgerechtes Angebot für Menschen mit unterschiedlichen Unterstützungsbedarfen.

Langfristige Bedeutung für Vorarlberg

Die Psychiatrie- und Suchtstrategie 2025–2035 ist ein langfristiges, umfassendes Vorhaben, das die Versorgung im Land für das kommende Jahrzehnt maßgeblich prägen wird. Sie schafft eine zentrale Grundlage für die Ausrichtung von Leistungen sowie die Weiterentwicklung organisatorischer und therapeutischer Strukturen. Gleichzeitig stärkt die Strategie die Rolle von Betroffenen, unterstützt Fachkräfte und Einrichtungen und legt einen klaren Fokus auf Wirksamkeit und Wirkung.

Landesrätin Rüscher betont: „Die Umsetzung beginnt 2026 und erfolgt schrittweise. Wir werden die Maßnahmen eng begleiten und regelmäßig überprüfen, ob wir unsere Ziele erreichen. Entscheidend ist, dass Menschen mit psychischen Erkrankungen und Suchterkrankungen die Unterstützung erhalten, die sie brauchen – zur richtigen Zeit, am richtigen Ort und in der richtigen Form.“

Analyse der Ausgangslage und Entwicklungen

Laut aktuellen Studien leiden rund 23 Prozent der erwachsenen Bevölkerung in Österreich an einer psychischen Erkrankung. Über die Hälfte der psychisch erkrankten Menschen bleiben gänzlich ohne Behandlung – selbst in Fällen, in denen der Schweregrad eindeutig eine professionelle Versorgung erfordern würde. Besonders alarmierend ist die Situation bei Jugendlichen: Derzeit sind etwa 24 Prozent aller jungen Menschen in Österreich von einer psychischen Erkrankung betroffen. Auch Suchterkrankungen stellen ein erhebliches gesundheitliches Risiko dar. Rund fünf Prozent der österreichischen Bevölkerung erfüllen die Kriterien einer Alkoholabhängigkeit, wobei nur ein geringer Anteil professionelle Unterstützungsangebote nutzt. Ähnliches zeigt sich beim Vergleich der Prävalenzen anderer Suchterkrankungen: Weniger als die Hälfte der opioidabhängigen Menschen befindet sich in Behandlung.

Steigende Belastungen führen zu höherem Versorgungsbedarf

Mit der Zunahme psychischer Belastungen steigen sowohl die Prävalenzen als auch die Inanspruchnahme von Unterstützungsleistungen. Der überwiegende Teil der Betroffenen wird zunächst über das Gesundheitssystem versorgt. Reicht dieses nicht aus oder sind zusätzlich psychosoziale Risiken vorhanden, stehen die Angebote der Sozialpsychiatrie und der Suchthilfe zur Verfügung. Entsprechend der beschriebenen Entwicklungen nimmt auch die Nutzung dieser Versorgungsstrukturen weiter zu.

Grafik 1 (Grafiken finden Sie am Ende der Aussendung unter Pressefotos)

Seit 2017 ist die Gesamtnachfrage nach Beratung, Betreuung und Behandlung um rund 45 Prozent gestiegen. Mittlerweile erreichen die Angebote etwa 2,2 Prozent der Vorarlberger Bevölkerung.

Chancengleichheit, Sozialpsychiatrie und Suchthilfe – Kennzahlen und Aufgaben

Der Fachbereich Chancengleichheit der Abteilung für Soziales und Integration (IVa) im Amt der Vorarlberger Landesregierung unterstützt Menschen mit Behinderungen, psychischen Erkrankungen und Suchterkrankungen bei einer umfassenden Teilhabe am gesellschaftlichen Leben. Die Leistungen werden aus Mitteln des Sozialfonds im Rahmen der Integrationshilfe finanziert.

Zentrales Ziel ist es, Betroffenen ein möglichst selbstbestimmtes Leben in allen Lebensbereichen zu ermöglichen. Neben der Weiterentwicklung und Qualitätssicherung der Angebote bearbeitet der Fachbereich jährlich rund 18.000 Einzelfälle. Vorarlberg hat in den vergangenen Jahren eine Vielzahl neuer Unterstützungsstrukturen geschaffen und damit einen hohen Versorgungsstandard aufgebaut. Rund 150 Millionen Euro werden investiert, davon ca. 36 Millionen Euro für die sozialpsychiatrische Versorgung und Suchthilfe. Aufgrund der zunehmenden psychischen Belastungen und auf Basis des Psychiatriekonzepts 2015–2025 wurden die eingesetzten Ressourcen in den vergangenen Jahren kontinuierlich an den steigenden Bedarf angepasst.

Grafik 2 (Grafiken finden Sie am Ende der Aussendung unter Pressefotos)

Sozialfonds-finanzierte Angebote der Sozialpsychiatrie und Suchthilfe in Vorarlberg

Sozialpsychiatrie

Die sozialpsychiatrischen Angebote für Erwachsene umfassen ein breit aufgestelltes Netz an Unterstützungs- und Begleitmöglichkeiten. Dazu gehören fünf sozialpsychiatrische Dienste auf Bezirksebene sowie sechs Beratungsstellen, die Betroffene und Angehörige bei psychischen Belastungen unterstützen. Ergänzend stehen sieben niederschwellige Kontakt- und Anlaufstellen sowie Tageszentren zur Verfügung, die eine rasche, unkomplizierte Unterstützung im Alltag ermöglichen. Darüber hinaus bieten sieben Beschäftigungswerkstätten arbeits- und tagesstrukturierende Angebote, während elf Wohnheime und betreute Wohngemeinschaften Menschen mit hohem Unterstützungsbedarf ein stabiles und begleitetes Wohnumfeld bieten.

Für Kinder und Jugendliche existiert ebenfalls ein spezialisiertes sozialpsychiatrisches Angebot. Zwei niederschwellige Kontakt- und Anlaufstellen ermöglichen einen frühen Zugang zu Unterstützung, während zwei Beratungsstellen psychologische und sozialarbeiterische Begleitung bei vielfältigen Problemstellungen bieten. Ergänzt wird das Angebot durch zwei Werktherapiestandorte, die jungen Menschen mit psychischen Erkrankungen eine strukturierte Alltagsgestaltung und therapeutische Förderung ermöglichen.

Zusätzlich steht für alle Altersgruppen das Psychotherapiemodell Vorarlberg in Kooperation mit der Österreichischen Gesundheitskasse zur Verfügung, das den Zugang zu psychotherapeutischer Versorgung verbessert und die psychiatrischen und psychosozialen Angebote wirkungsvoll ergänzt.

Suchthilfe in Vorarlberg

Die Suchthilfe umfasst niederschwellige Kontakt- und Anlaufstellen, ambulante therapeutisch ausgerichtete Sucht- und Drogenberatung und -behandlung in allen Bezirken sowie zwei abstinenzorientierte Übergangswohnangebote, welche den Weg in ein eigenständiges Leben ohne Suchtmittel unterstützen. Ergänzend dazu gibt es niederschwellige Beschäftigungsangebote für schwerstbetroffene Menschen sowie ein naturnahes Arbeitsangebot. Die ambulante Suchthilfe unterstützt jährlich mehr als 3.100 Klientinnen und Klienten mit Abhängigkeitserkrankungen von legalen und/oder illegalen Substanzen und begleitet sie im Umgang mit ihrer Erkrankung.

Prävention: Früher ansetzen, besser schützen

Die Präventionsarbeit im Bereich Psychiatrie und Sucht setzt auf vielfältige, zielgruppenorientierte und evidenzbasierte Angebote. Allein im Bereich der Suchtprävention wurden im Jahr 2024 mehr als 7.700 Menschen in Vorarlberg erreicht.

Seit 2025 ergänzt ein innovatives Drug-Checking-Angebot das bestehende Präventionsprogramm. Es ermöglicht eine frühzeitige Anbindung an das Hilfesystem und liefert wertvolle Einblicke in aktuelle Entwicklungen der Drogenszene in Vorarlberg.

Redaktion
Gerhard Wirth

Pressebilder

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