Presseaussendung · 06.07.2015 Gewaltprävention heute ist Antwort auf die Geschehnisse von gestern Landesrätinnen Baur (Tirol) und Wiesflecker (Vorarlberg) präsentierten Gesamtstudie zur Geschichte der Fürsorge- und Heimerziehung

Veröffentlichung
Montag, 06.07.2015, 14:07 Uhr
Themen
Soziales/Erziehung/Wiesflecker
Redaktion
Gerhard Wirth

Innsbruck (VLK) – "Es ist beschämend und traurig, dass Jugendliche und Kinder seelische, physische und sexuelle Gewalt erleiden mussten. Dafür müssen wir die Betroffenen um Verzeihung bitten." Es sei wichtig, das Tabu um die Missstände in manchen Heimen und Erziehungseinrichtungen in der Zeit vor 1990 aufzubrechen und dieses sensible Thema lückenlos aufzuarbeiten. Das sagten die Soziallandesrätinnen aus Tirol und Vorarlberg, Christine Baur und Katharina Wiesflecker, am Montag, 6. Juli 2015, in Innsbruck bei der Präsentation der Studie über die Fürsorge- und Heimerziehung in Tirol und Vorarlberg.

Tirol und Vorarlberg verfügten über eine hohe Dichte an Heimen und hatten ein Abkommen über eine wechselseitige Übernahme der Fürsorgekinder. Die von beiden Ländern beim Institut für Erziehungswissenschaften der Universität Innsbruck in Auftrag gegebene Studie betrachtet auch vier Landeserziehungsheime – Jagdberg/Schlins (V), St. Martin/Schwaz, Mariatal/Kramsach und Kleinvolderberg (T) – im Detail. Die Kernaussage: "Die Anstaltserziehung vereinte alle Machtquellen, die eine totale Erziehungssituation kennzeichnen: Isolierung, Entindividualisierung, Abhängigkeit und nahezu schutzlose Ausgeliefertheit der ihr anvertrauten Kinder und Jugendlichen." Dieses System habe gewaltvolle Erziehungspraktiken in all ihren Formen der körperlichen, psychischen und sexualisierten Gewalt erzeugt, toleriert und nicht verhindert, ziehen Studienautorin Michaela Ralser und ihr Forschungsteam Bilanz über die bis in die 1980-er Jahre reichende Geschichte der Fürsorgeerziehung. Erziehung und Ordnung seien zudem vor Bildung und Ausbildung gesetzt worden.

   Bei der Aufarbeitung der Vorkommnisse setzen beide Länder neben der wissenschaftlichen Erforschung der Heimgeschichte und Fürsorgeerziehung auf Hilfestellung für die Opfer und Präventionsmaßnahmen zur Verhinderung von Gewalt. Seit 2010 haben sich in Vorarlberg 260 Menschen an die Opferschutzstelle des Landes gewandt. An 159 Betroffene wurden in Summe über 1,43 Millionen Euro als finanzielle Unterstützung ausbezahlt, weiters wurden für 43 Personen Therapiekosten in Gesamthöhe von 81.000 Euro übernommen. In Tirol haben bisher 362 Betroffene eine Entschädigungssumme von insgesamt rund 2,3 Millionen Euro erhalten. 53 Personen nehmen das Angebot des Landes Tirol in Anspruch, das Erlebte mit therapeutischer Unterstützung in Einzeltherapien oder Selbsthilfegruppen aufzuarbeiten. In beiden Ländern bleiben die Opferschutzstellen weiterhin offen.

Maßnahmenbündel geschnürt

   "Die Studie zur Fürsorgeerziehung soll nicht nur einen Beitrag zur historischen Aufarbeitung, sondern auch für die sorgsame Gestaltung der gegenwärtigen Kinder- und Jugendhilfepraxis leisten", führte Landesrätin Wiesflecker aus. Neben dem Opferschutz gehe es auch darum, durch verstärkte Sensibilisierung, Bewusstseinsbildung und Prävention Gewalt und Missbrauch gegenüber Kindern und Jugendlichen jetzt und in Zukunft wo immer möglich zu verhindern. Zu diesem Zweck wurde in Vorarlberg eine Expertengruppe mit der Erarbeitung von Maßnahmen zur Gewaltprävention in der Erziehung von Kindern und Jugendlichen, die außerhalb der Familie aufwachsen, beauftragt. Zum vorgelegten "Maßnahmenbündel Opferschutz" gehören ein neues Kinder- und Jugendhilfegesetz mit einem Anhörungsrecht für die Betroffenen ebenso wie der Verzicht auf geschlossene Einrichtungen und eine wohnortnahe Unterbringung mit regelmäßigem Kontakt zu wichtigen Bezugspersonen.

   Ein Teil der vorgeschlagenen Maßnahmen wurde bereits abgeschlossen, der weitaus größere Teil hingegen muss kontinuierlich verfolgt und weiterentwickelt werden. So wird in Vorarlberg heuer ein Budget von 70.000 Euro für Projekte zur Gewaltprävention in Einrichtungen zur Verfügung gestellt. Im Rahmen eines Pilotprojektes hat die Vorarlberger Kinder-und Jugendanwaltschaft eine Ombudsstelle für fremduntergebrachte Kinder und Jugendliche eingerichtet, die Sprechstunden in den sozialpädagogischen Einrichtungen anbietet. Mindestens zweimal jährlich haben die MitarbeiterInnen der öffentlichen Kinder- und Jugendhilfe Kontakt zu den Kindern. Im Herbst soll eine Fachtagung der Kinder- und Jugendhilfe stattfinden, zu der auch VertreterInnen der Familiengerichte und der Kinder- und Jugendpsychiatrie eingeladen werden. Denn "die Studie liefert Erklärungsansätze und weist auf Rahmenbedingungen hin, die auch heute immer wieder kritisch zu hinterfragen sind", so Wiesflecker.

Audiofiles zur Pressekonferenz "Gesamtstudie zur Geschichte der Fürsorge- und Heimerziehung"

Pressebilder

Ihr Browser ist veraltet!
Bitte aktualisieren Sie Ihren Browser, um diese Website korrekt darzustellen!
www.outdatedbrowser.com